Die edition H

Es war ein Privileg, beim Aufbrechen einer Erzählung dabei sein zu dürfen, einer Erzählung, wie es die ehemaliger DDR-Heimkinder ab Mitte 2009 war. Als wäre ein Damm gebrochen, wuchs der Gesprächsbedarf explosionsartig an.

Von Beginn an wurde mir das Gefühl vermittelt, ich sei Zuhörer von Geschichten, die vorher noch nie erzählt worden sind.

Von Beginn an bestürzte mich das Vertrauen, mit dem diese jahrzehntelang verschwiegenen Geschichten mitgeteilt wurden.

Es war ebenso von Beginn an sichere Gewissheit, dass dieses Vertrauen nicht als Besitzstand verwaltet, sondern immer wieder von Neuem erarbeitet werden müsse.

In den vielen Jahren seither sind es deutlich über 1200 intensive Gespräche gewesen, wie ich geführt habe. In einigen Fällen entwickelte sich ein Im-Gespräch-bleiben. In wenigen Fällen durfte ich Zeuge werden, wie aus dem Zwang, endlich etwas mitteilen zu müssen, Form wurde: Es entstanden Gesprächspassagen, Briefe, Texte, Bilder, die in ihrer Einzigartigkeit zu bestürzenden Mitteilungen aus einer für Außenstehende kaum zu erfassende Innenwelt gelesen und gesehen werden wollten. Texte, Bilder wurden mir oft nach langjährigem Miteinandersprechen in die Hand gegeben. 

Sie sind die Essenz dessen was die edition H ausmacht: gefundenes Material, zu sichernde Spuren, Das Behandeln dieser existenziellen Äußerungen als Kostbarkeit.

Parallel dazu reicherte sich weiteres Fundmaterial an: In Archiven traten Sprache und Diktion der „anderen Seite“ zu Tage: Materialien, die den Alltag in Heimen und die Sicht von Erzieherinnen und Erziehern unverschleiert und unbeschönigt abbilden. Die Materialien, aufgefasst als Quellenpublikation, bilden den erschütternden Kontrast zu den Schilderungen Betroffener.

Die Form, die den Gedanken der zu vermittelnden Kostbarkeit ebenso wie die geradezu mechanische Welt des heiminternen Funktionierens transportiert, verdanke ich Gabriele Iffland-Böhm, die mit Layout, Schrift- und Papierwahl eben diesen Wert der Mitteilungen verdeutlichen half.

Mit der Regenbogen-Druckerei der Stephanusstiftung in Bad Freienwalde fand sich eine Druckerei, die in der Haltung zu den Büchern und zu deren Inhalten ein Glücksfall ist.

Die edition H: das H steht sowohl für den Inhalt, also für Heimerfahrung. Als auch für den Verlagssitz. Sie ist das verlegerische Projekt des Heumannhauses in Benshausen. er Verlag arbeitet nicht gewinnorientiert; die Preise verstehen sich als Deckung der Produktionskosten.

Manfred May