Birgit Eisenacher

Da oben, auf dieser Burg

ISBN: 978-3-9819919-2-5
Format: 148 x 210 mm
Umfang: 178 Seiten
15,70 €

Beschreibung

123 handgeschriebene Seiten sind es – vorläufig – geworden. E.B. wollte der Stadtverwaltung Heldburg mitteilen, was sie als Kind im Sonderschulheim Veste Heldburg (heute Deutsches Burgenzentrum) erdulden musste. Begonnen hat sie den Brief 2016, als in den Medien, die ausführlich über die Eröffnung des Burgenzentrums nach aufwändiger Restaurierung der Burg berichteten, nahezu stereotyp die Rede davon war, dass man über die Zeit als DDR-Kinderheim bzw. als DDR-Sonderschulheim so gut wie nichts wisse. B. schrieb sich ihr Wissen von der Seele, mehrere Jahre lang. Den Brief jedoch schickte sie bisher nicht ab.

Reden mit denen, „die lieb zu mir waren.“ – das hat sie versucht über die Jahre. Das allein sagt schon, dass es keine blinde Wut ist, die sie beim Schreiben geleitet hat.

Wer möchte ihr vorschreiben, welche Worte sie wählen sollte, wenn die Erinnerung sie überrennt beim Schreiben? Die Angst derer, mit denen Birgit Eisenacher geredet hat, deren Nähe sie wieder gesucht hat; die Angst dieser Menschen vor dem Brief ist unbegründet. Im Gegenteil: Vor dem Hintergrund ihrer Erlebnisse gelingt ihr ein bewundernswert differenziertes Bild.

Sie schont Täterinnen und Täter nicht, gar nicht; sie offenbart ihre Gefühle, diesen und sich selbst gegenüber schonungslos:

„Es tut mir auf einer Seite leid, dass ich so viele wilde Wörter und Beleidigungen schreiben tue. Das muss einfach sein!!!! Wir wurden als Kinder auch genug mit den übelsten Wörtern beschimpft, beleidigt und wurden auch nicht danach gefragt, ob uns das gefällt oder nicht!!!!“

Einlesungen

 

Das Schlimmste daran für mich ist noch, dass man es mir ins Gesicht geknallt hat und mir persönlich und den anderen betroffenen Kindern die eigene Schuld daran, dafür selbst noch gibt, dass es ihr Recht war, uns so dafür zu behandeln und bestraft werden mussten!!!! Dass es so war, was man alles mit uns gemacht uns so alles angetan hat, auch seine Richtigkeit hatte. Da mein Verhalten und dadurch auch das Verhalten anderer Kinder als gestört und schlecht galt, deshalb ihr Recht war, so zu handeln und die mit uns alles machen konnten, was immer die wollten. Das geht gar nicht!!!! Wehren, das konnten wir uns als Kinder sowieso nicht!!!! Die Erwachsenen hatten den längeren Hebel. Ich hatte ca. 2004/2005 mit einem meiner Lehrer Frank Ferdinand und seiner Frau, auch Lehrerin in […]/Thüringen, die dort jetzt wohnen, die mich zu meiner Zeit an da oben im Heim unterrichteten, über diese Themen ein Gespräch, zwar über diese Themen: das Ver-halten, diese Bestrafungen, diese körperlichen Misshandlungen (also die Gewalt) und über diese sexuellen Übergriffe an anderen Kindern und an mir persönlich, die es wirklich da oben auf der Burg im Kinderheim gegeben hat. Dass mich der Arndt Arnold, dieser Kinderficker so wie ich es sage und ihn auch so nenne, mehrere Male sexuell miss-braucht und mich zweimal vergewaltigt hat. Das erste Mal im Ferienlager in Bürden, in dieser Kindereinrichtung, neben dem Gondelteich und dann ein zweites Mal im Kinderheim, oben drin in der Wäschekammer. Ich wiederhole es noch einmal von der Seite 31 und 32.: Was ich da schon geschrieben habe, da bekam ich auch die gleiche Antwort darauf, wurden wir auch nicht geschult, [dass] sexueller Missbrauch an Kindern verboten ist. Das glaube ich den beiden nicht!!!! Meiner Meinung nach muss es pädagogische Bücher für das Studium darüber gegeben haben. Es stand bestimmt etwas darüber drin. Über alle Zustände, die da oben herrschten, wussten alle Bescheid!!!! Darüber habe ich Herrn Emil Ernst und die Frau Ernst informiert (also aufgeklärt). Auch äußerte ich mich ihm gegenüber so, wie er mich selbst schlecht und brutal behandelt hat. Und sagte es ihm auch ins Gesicht, wie sehr ich ihn dafür gehasst habe!!!! Was bekam ich da zu hören, ja Birgit, da bist du doch selber Schuld daran, das alles hattest du dir selbst zuzuschreiben und es nicht anders verdient!!!! So ungezogen, wie du es warst. Ich fragte trotzdem noch, warum habt ihr euch nicht einmal mit uns hingesetzt und ein Gespräch da-rüber geführt, warum wir so bösartig sind auf einmal und sich unser Verhalten schlag-artig sich zum Negativen gewandelt hat. Gleich immer nur Strafen und brutal werden, das stand immer an erster Stelle (nur Gewalt)!!!! Mehr kenne ich nicht!!!!
Über diese Reaktion war ich sehr entsetzt, empört und enttäuscht von den beiden darüber. Es war noch wie ein Schlag ins Gesicht für mich!!!! Das war mir in diesem Moment ganz einfach zu viel und für mich das Allerletzte!!!!
Das alles macht mich sehr traurig und wütend zugleich!!!! Ich habe bis auf den heutigen Tag an auch noch daran zu knabbern. Wie bei dem Kinderficker, dem Arnold!!!! Habe oft Alpträume davon, von diesen Folgen und den Erlebnissen da oben auf dieser Burg, in diesem Kinderheim. Vor allem das Schlimmste in meinen Träumen daran (darin), ist dieser Arndt Arnold, dieser Kinderficker für mich!!!! Unter seinen Träumen habe ich noch immer sehr und das noch am meisten darunter zu leiden!!!! Ich träume noch dazu, dass er es, was der auf dieser Burg und im Ferienlager mir angetan hat, dass der alles immer noch mit mir und das gemeinsam mit meinen beiden Töchtern es so weiter macht.

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