Alexander Matzke

Wie geht es Dir, mir geht es gut

ISBN: 978-3-9819919-1-8
Format: 148 x 210 mm
Umfang: 128 Seiten
14,90 €

Beschreibung

62 Briefe sind erhalten geblieben, die Alexander Matzke an seine Mutter Gisela schrieb. Einige wenige aus einer durch die Erkrankung der Mutter bedingten Trennung, die anderen aus dem Durchgangsheim Schmiedefeld, aus dem Spezial-Kinderheim Wenigenlupnitz und aus dem Jugendwerkhof Wittenberg.

in einem seiner Briefe aus dem Durchgangsheim Schmiedefeld, der ersten Station in seiner Heimbiografie, wo er zweieinhalb Monate verbrachte: „Schreiben darf [ich] nur am Wochenende, 3 Briefe.“

Über das Lesen der Briefe von „draußen“ wissen wir so gut wie nichts. Der Besitz persönlicher Dinge war auf ein äußerstes Minimum beschränkt. Briefe der Mütter, der Geschwister, der Freundin oder des Freundes ins Heim sind in den meisten Fällen nicht erhalten.

Alexander Matzke lebte bis zu seinem Tod im Sommer 2018 als Selbständiger in der Schweiz; Gisela Matzke – früher Fernseh- und Rundfunkjournalistin, bis heute Moderatorin, Autorin – lebt in Thüringen. Sie hat den Briefen Alexanders fünf literarische Miniaturen beigegeben, in denen sie Erlebnisse aus der durch die Jugendhilfe angeordneten Trennung von Sohn und Mutter berichtet.

In einem Gespräch sagte Gisela Matzke: „Niemand hat sich für mein Kind interessiert, als Alexander weg war. Niemand hat nach ihm gefragt.“ – diese unheimliche Übereinkunft derjenigen, die froh waren, dass der Störenfried, „weg war“.

62 Briefe: beim Lesen müssen wir die Situation, in der die Briefe entstanden sind, im Kopf haben. Wir müssen zwischen den Zeilen lesen. Wir müssen uns durch die Einförmigkeit quälen, Wiederholungen als Indiz für Sprachlosigkeit hinnehmen, um die Verarmung der Kommunikation zwischen Sohn und Mutter auch sinnlich wenigstens ansatzweise erfassen zu können.

Einlesungen

 

DURCHGANGSHEIM SCHMIEDEFELD

27.04.83

Liebe Mutti!

Herzlichen Glückwunsch zu Deinem 48. Geburtstag.

Bis zu Deinem Geburtstag hättest Du mich noch in Salzungen lassen können.

Du kannst schreiben, wann und wieviel Du willst.

Bitte gebe meine Adresse auch der S. oder wer

sie noch verlangt.

Ich habe meine Fehler eingesehen und habe

geweint.

Bitte sag der Jugendhilfe, dass ich nicht schreibe.

Könntest Du es nicht noch mal mit mir versuchen,

da ich meine Fehler eingesehen habe. Ich würde

Dir in allen

Dingen, die anfallen, helfen, wie es nur geht, in

der Schule

bessere Leitungen erzielen, nicht mehr mit B. um-

hertappen und mich so ordentlich benehmen,

dass keine Klagen über mich kommen.

Essen ist gut und ausreichend. Schreiben darf

ich nur am Wochenende, 3 Briefe.

Wir müssen hier so Teile für Steckdosen

schrauben

wird zwar bezahlt, ist aber eine elende Arbeit

Bitte rufe Johanna und Burkhard an, sie möchten

mir bitte auch mal schreiben. Oma und Opa auch.

Schreibe mir bitte, wann die „Goldene Hochzeit“ von den

Großeltern ist, ich möchte dabeisein, wenn es geht von hier aus.

– Rauchen verboten

+ schreibe so bald wie möglich! Bitte!!!

Tschüß

Dein

Alex

Weitere Bücher aus dieser Reihe

Ich; Gisela Schubert

Da oben, auf dieser Burg

Weitere Bücher

Leise schreien

Die Autorin hat in Texten und Gedichten ihre Sprache gefunden, für das was ihr geschehen ist. Es ist, wie auch der Band B von Simone Piorek die andere Sicht auf die Isolierung. Sie bestätigt die in Arrest- und Isolierbuch (vgl. Materialien I und II) spürbare Kälte und spricht gleichzeitig den Gegenentwurf aus. Diese Sicht ist die Stimme gegen die Formel.

Mein Leben und ich

Der Text von Kerstin Kratzenberger ist ein Dokument des Scheiterns des für sie zuständigen Referates Jugendhilfe/Heimerziehung. Gewalttätigkeiten und sexuelle Übergriffe führen zu keinem dauerhaften Schutz; nach Heimaufenthalten wird immer wieder die Rückkehr in die Familie angeordnet.

Republikflucht im schweren Fall

Auch für die Autorin dieses Bandes wird das Durchgangsheim Schmiedefeld zur entscheidenden Erfahrung von Ohnmacht und Entwürdigung. Mit ihrem Freund wird sie unter dem Vorwurf, illegal die DDR verlassen zu wollen, aufgegriffen und von der Polizei nach Schmiedefeld gebracht.

Materialien I: Kontrolle – keine Vorkommnisse

Keine Vorkommnisse: o. V. manchmal auch k. V. sind die ökonomischen Kürzel eines Rasters, das sich bleischwer über die Tage legte, die Kinder und Jugendliche in den Arrestzellen des Durchgangsheimes Schmiedefeld verbrachten.

Materialien II: Geduscht Delitexbehandelt Eingekleidet Isoliert

Jahresarbeitspläne des Durchgangsheimes gestatten es, das Bestimmung, Denken und Handeln des Durchgangsheimes und seines Personals innerhalb eines rigiden Umerziehungssystems zu begreifen, das Korsetthafte wahrzunehmen, das Vorstellungsräume für Menschliches auf ein unerträgliches Maß einzwängte und dies für alle handelnden Personen – für die Kinder und Jugendlichen ganz klar, aber wohl auch für Erzieherinnen und Erzieher.